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Philipp
Also irgendwelche objektivierbaren Schwenkeffekte werden wohl immer da sein, egal wie man sie nennen will. Aber wesentlich erscheint mir, was subjektiv draus wird. Und damit ist die Diskussion doch recht weit im Philosophischen angesiedelt, denke ich.
Glücklicherweise lässt sich auch das objektivieren. Um zu verstehen, was eine Testperson denn tatsächlich wahrnimmt, bedient sich die Wahrnehmungspsychologie einer mathematischen Konstruktion, die sie als visuellen Raum bezeichnet. Werden optische Reize auf die Testperson losgelassen, so soll der visuelle Raum das Erleben dieser Reize aus Sicht der Testperson modellieren.
Aber wie könnte ein solcher visueller Raum in unserem Fall zuverlässig modelliert werden? Dazu habe ich Messdaten verwendet, die
in Abbildung 1 meiner Antwort an Herrn Schön dargestellt sind. Hier hat eine niederländische Forschergruppe die Verzeichnung der Wahrnehmung an Versuchspersonen gemessen. Der Wert 0 bedeutet keine Verzeichnung, negative Werte sind kissenförmige Verzeichnungen, positive Werte sind tonnenförmige Verzeichnungen. Die Verteilung der Kurve ist breit, so dass eine erhebliche Streubreite zwischen verschiedenen Individuen herrscht. Der am häufigsten gemessene Wert liegt bei l=0.73 (roter Pfeil), also bei einer leichten tonnenförmigen Verzeichnung.
Jetzt kann ich also einen visuellen Raum so modellieren, dass er den entsprechenden Wert der Verzeichnung in die Abbildungskette mit einbringt (wie genau das funktioniert, ist mathematisch nicht sonderlich kompliziert, das habe ich 2010 publiziert). Wenn ich das also tue, dann kann ich genau analysieren, was eine entsprechende Versuchsperson durch ein bestimmtes Fernglas sehen würde. Ich kann dann auch den Computer verwenden und eine solche Abbildung animieren, wie in Abb 2 getan. Hier kann ich abschätzen, ob diese Versuchsperson mit dem schwenkenden Fernglas eventuell einen Globuseffekt wahrnehmen würde.
Untersuchungen dieser Art, inklusive eigener Tests mit Freiwilligen, haben Zeiss dazu bewogen, in ihre SFL Modelle eine kissenförmige Verzeichnung der Stärke k=0.7 einzubauen, um diese tonnenförmige Verzeichnung der Wahrnehmung zu kompensieren. Einem durchschnittlichen Beobachter sollte das Zeiss SFL daher keinen Globuseffekt zeigen, aber da eben nicht jeder genauso sieht wie der andere, kann eine solche Maßnahme nicht für jeden die Ideallösung sein. Die Erfahrungen in den kommenden Jahren werden zeigen, wie diese Maßnahme von den Benutzern bewertet wird. Sehr interessant ist zudem Leicas Vorschlag, digitale Beobachtungsgeräte mit verstellbarer Verzeichnung zu produzieren, mit denen jeder Beobachter sein individuelles Optimum einstellen könnte. Erfahrungswerte mit diesen Geräten könnten auch dazu beitragen, die Verzeichnungskurven konventioneller Optiken weiter zu optimieren.
Viele Grüße,
Holger