Die Wahrnehmung unterschiedlicher Entfernungen beim binokularen Sehen auf Basis der Vergenz (= Winkel zwischen den Hauptstrahlen des linken und des rechten Auges zum Gegenstandspunkt) bzw. der daraus resultierenden Disparation (relative Verschiebung des Bildpunktes auf der Netzhaut eines Auges relativ zu dem des anderen Auges) funktioniert nicht nur bis 10 m Entfernung, sondern individuell etwas verschieden und abhängig vom Entfernungsunterschied auch noch bis zu etwa hundert Metern oder noch etwas mehr.
Bei einäugigem Sehen kann im Gegensatz zur Behauptung von „Dominique“ nichts davon von einem (dem defekten) zum anderen (dem guten) Auge übertragen werden. Vielmehr gibt es zahlreiche weitere Parameter, anhand derer Entfernungen auch von einem Einäugigen abschätzbar bzw. unterscheidbar sind, z.B. …
– die bekannte wahre Größe (wenn von zwei annähernd gleich großen Menschen einer deutlich kleiner zu sehen ist als der andere, dann ist er vermutlich weiter weg);
– unterschiedlich feine wahrgenommene homogene Strukturen (Kies-, Gras-oder Pflasterflächen erscheinen in der Nähe stark strukturiert, in der Ferne zunehmend feiner und verschwimmen schließlich);
– Verdeckung eines Gegenstandes durch einen anderen (ein Baum ist näher als ein Haus, wenn der Baum Teile des Hauses verdeckt, aber er ist weiter als das Haus entfernt, wenn das Haus Teile des Baums verdeckt);
– unterschiedliche laterale Geschwindigkeiten (ein Flugzeug, das deutlich schneller quer zur Blickrichtung zu fliegen scheint, ist wahrscheinlich näher als ein anderes Flugzeug, das sich viel langsamer zu bewegen scheint; beim Blick aus einem fahrenden Zug „fliegt“ der Vordergrund sehr schnell vorbei, der Hintergrund um so langsamer, je weiter er entfernt ist);
– laterale Verschiebung bei Kopfbewegung (bewegt man den Kopf wechseln von links nach rechts und umgekehrt, dann verschieben sich Vordergrund und Hintergrund relativ zueinander, der Vordergrund scheinbar entgegen der Kopfbewegung, der Hintergrund mit der Kopfbewegung), Eulen und Uhus benutzen diese Technik oft.
Der Einäugige entwickelt mit der Zeit eine höhere Sensibilität für diese sekundären Entfernungsmerkmale als der Beidäugige, weil er mangels Vergenz-/Disparationswerten mehr darauf angewiesen ist – etwa so, wie ein Blinder lernt, mehr Informationen über seine Umgebung zu hören.